top of page

Nachhaltigkeitsberichterstattung im Wandel – Was das Omnibusverfahren für CSRD, ESRS, VSME und die EU-Taxonomie bedeutet

  • Autorenbild: Alexander W. Hinz
    Alexander W. Hinz
  • 23. März
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 24. März

Nachhaltigkeitsberichterstattung
Offen gesprochen: Alexander W. Hinz, Wirtschaftsprüfer & Managing Partner

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich Widerstand gegen den zunehmenden regulatorischen Druck im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung formiert. Spätestens mit dem Inkrafttreten der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) wurde deutlich, dass viele Unternehmen – insbesondere solche ohne eigene ESG-Abteilungen – an die Grenzen ihrer Umsetzungsfähigkeit geraten. Die Anforderungen an Transparenz, Detailtiefe und Prüfbarkeit sind hoch, die Fristen ambitioniert, und die Erwartungen der Kapitalmärkte nicht minder drängend.

 

Das Anfang 2025 vorgestellte sogenannte Omnibusverfahren der EU-Kommission will an dieser Stelle ansetzen. Es geht dabei weniger um einen inhaltlichen Kurswechsel – die Ziele der nachhaltigen Transformation bleiben unangetastet –, sondern vielmehr um eine Neujustierung bei Umsetzung, Proportionalität und Priorisierung. Besonders betroffen: die CSRD selbst, die damit verknüpften European Sustainability Reporting Standards (ESRS), der geplante freiwillige VSME-Standard für kleinere Unternehmen sowie zentrale Berichtspflichten im Rahmen der EU-Taxonomie.

 

Die CSRD war mit dem Anspruch gestartet, das Nachhaltigkeitsreporting auf ein Niveau zu heben, das mit der klassischen Finanzberichterstattung gleichzieht. In der Praxis bedeutete dies für viele Unternehmen eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit Themen wie doppelter Wesentlichkeit, Scope-3-Emissionen, Lieferkettenanalysen oder klimabezogenen Übergangsplänen. Die Kritik ließ nicht lange auf sich warten: Zu bürokratisch, zu kleinteilig, zu weit entfernt von der Unternehmensrealität – gerade bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen. Die Folge: statt Wirkung und Transparenz dominierten vielerorts Unsicherheit und Implementierungsfrust.

 

Vor diesem Hintergrund will das Omnibusverfahren nun ein pragmatisches Gleichgewicht schaffen. Der wohl deutlichste Eingriff betrifft die Anwendbarkeit der CSRD selbst. So schlägt die Kommission vor, den Geltungsbereich auf Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden zu beschränken. Damit würden etwa 80 % der bislang verpflichteten Unternehmen aus dem Anwendungsbereich herausfallen – darunter zahlreiche kapitalmarktorientierte KMU. Für diese entfällt nicht nur die Pflicht zur Erstellung eines ESRS-konformen Nachhaltigkeitsberichts, sondern auch die damit verbundenen Prüfpflichten. Die Reduktion soll allerdings nicht zur Verdrängung aus dem Nachhaltigkeitsdialog führen, sondern vielmehr den Weg für eine freiwillige und vereinfachte Berichterstattung ebnen.

 

Zugleich soll der von EFRAG entwickelte VSME-Standard (Voluntary Sustainability Reporting Standard for non listed SMEs) kleineren Unternehmen einen vereinfachten, freiwilligen Berichtsrahmen bieten. Was auf den ersten Blick wie eine willkommene Entlastung erscheint, wirft bei genauerer Betrachtung methodische und prüferische Fragen auf. Der VSME-Standard verzichtet auf eine strukturierte Wesentlichkeitsanalyse, externe Prüfungspflichten oder konsistente Dokumentationsvorgaben – und entkoppelt damit ESG-Reporting weitgehend von etablierten prüferischen Standards. Für die Praxis der Wirtschaftsprüfung entsteht dadurch ein Spannungsfeld: ESG-Informationen gewinnen an Bedeutung für strategische Entscheidungen, verlieren jedoch an Verlässlichkeit, wenn sie auf freiwilliger, nicht prüfbarer Grundlage basieren. Gerade in Unternehmensgruppen mit gemischten Berichtspflichten drohen dadurch Brüche in der Datenkonsistenz und Unsicherheiten in der prüferischen Einbindung. Der VSME-Ansatz kann also nur dann ein tragfähiges Instrument sein, wenn er weiterentwickelt und anschlussfähig an prüferische Anforderungen gemacht wird – ohne diesen Rahmen droht die Vereinfachung zum Bumerang zu werden.

 

Auch bei den ESRS selbst soll es deutliche Vereinfachungen geben. Die ursprünglich im Sommer 2023 verabschiedeten sektorübergreifenden Standards gelten vielen Unternehmen als zu komplex und wenig praxistauglich. Daher plant die Kommission eine Überarbeitung des ersten ESRS-Sets. Dieser „Refit“ zielt auf die Reduktion der Berichtspflichten, insbesondere durch die Streichung wenig relevanter Datenpunkte, die stärkere Unterscheidung zwischen verpflichtenden und optionalen Angaben und die klarere Anwendung des Wesentlichkeitsprinzips. Unternehmen sollen künftig mit weniger Aufwand klarer dokumentieren können, was für sie tatsächlich relevant ist – und was nicht. Vor allem Unternehmen ohne umfangreiche Nachhaltigkeitsressourcen dürften davon profitieren.

 

Flankiert werden diese Maßnahmen durch eine Verschiebung der Anwendungsfristen: Unternehmen, die zur sogenannten zweiten Welle gehören (mehr als 250 Mitarbeitende, aber keine „Public Interest Entities“), sollen ihren ersten Bericht nun nicht mehr für das Geschäftsjahr 2025, sondern erst für 2027 erstellen müssen. Die dritte Welle – börsennotierte KMU – erhält ebenfalls eine Fristverlängerung. Dieser Zeitgewinn könnte zum entscheidenden Faktor für eine qualitativ hochwertige Umsetzung werden. Schließlich geht es nicht nur darum, Berichtspflichten zu erfüllen, sondern auch um die strategische Verankerung von Nachhaltigkeit in Geschäftsmodellen, Steuerungssystemen und der internen Kommunikation.

 

Parallel zur CSRD und den ESRS erfährt auch die EU-Taxonomie eine Korrektur im Sinne der Proportionalität. Unternehmen mit einem Umsatz unterhalb von 450 Millionen Euro sollen künftig nicht mehr verpflichtet sein, die vollständige Taxonomie-Berichterstattung durchzuführen. Stattdessen wird ein „Opt-in“-Mechanismus eingeführt: Nur wer sich aktiv für eine Berichterstattung entscheidet – etwa um grüne Investitionen sichtbar zu machen –, muss die entsprechenden KPIs (z. B. Taxonomie-konformer Umsatz, CapEx, OpEx) veröffentlichen. Für Unternehmen, die keine ökologisch nachhaltigen Aktivitäten im Sinne der Taxonomie haben oder sich nicht entsprechend positionieren wollen, entfällt somit ein erheblicher Berichtspfad. Das entlastet – und schafft gleichzeitig Anreize für freiwillige Transparenz.

 

In der Praxis dürfte dieser Schritt gerade bei kapitalmarktorientierten, aber noch nicht vollständig „grün“ ausgerichteten Unternehmen positiv aufgenommen werden. Der freiwillige Zugang ermöglicht eine gezielte Positionierung auf Investorenkonferenzen oder in Gesprächen mit Banken – ohne die Verpflichtung, eine umfassende, aber möglicherweise (noch) unvorteilhafte Taxonomie-Bilanz vorzulegen.

 

Das Omnibusverfahren sendet damit ein deutliches Signal: Die EU bleibt bei ihrer Klimastrategie konsequent – sie erkennt aber auch an, dass nicht jedes Unternehmen über dieselben Kapazitäten verfügt. Die angekündigten Änderungen führen nicht zu einem Rückbau der Nachhaltigkeitsregulierung, sondern zu einer klügeren Differenzierung. Für Unternehmen bedeutet dies: weniger Komplexität, mehr Umsetzungsraum – und die Chance, sich mit Augenmaß an einem sich stabilisierenden ESG-Regelwerk zu orientieren.


Alexander Hinz

Wirtschaftsprüfer

Managing Partner

2. März 2025


bottom of page